Dieter Barlage
Eigentlich gilt das Emsland als eine Region der Macher: Die Menschen, die hier leben, packen gemeinsam an und bringen Projekte auf den Weg. Der Lückenschluss der Autobahn 31 zu Anfang des Jahrhunderts etwa war nur möglich, weil ein gemeinsames Interesse vorherrschte, die Region besser erreichbar zu machen. Unternehmen, Privatleute, Kommunen, Gemeinden und Landkreise gaben Geld – für ein gemeinsames Ziel, eine Vision.
Das Emsland, einstmals das Armenhaus von Deutschland, hat sich in den vergangenen 70 Jahren nicht nur zu einer wirtschaftlich starken Region ge-mausert, sondern neben der A 31 weitere wichtige Infrastruktur-Projekte mit angeschoben und umgesetzt – sei es der Ausbau der Dortmund-Ems-Kanals oder der Bau des Eurohafens in Haren.
Allerdings ist diese Tatkraft an einem grenzüberschreitenden Projekt ins Stocken geraten. Schon seit Jahren gibt es kontroverse Diskussionen über den geplanten Ausbau der Europastraße E233, der kürzesten Verbindung zwischen Bremen und Hamburg und den niederländischen Städten Amsterdam und Rotterdam. Während die Strecke auf niederländischer Seite bereits seit 2008 vierspurig ist, stockt der Ausbau auf deutscher Seite – dabei hätte er längst fertig sein sollen.
Interessen prallen hier aufeinander: Befürworter wie Kommunen, Vereine, Verbände, Kammern und viele Unternehmen sehen im Ausbau eine Chance für die wirtschaftliche Zukunft des Emslandes, während Gegner vor ökologischen Folgen und hohen Kosten warnen. Was wiegt am Ende schwerer, die Wirtschaft oder die Natur? Oder könnte beides vielleicht sogar im Einklang stehen? Was würde der Ausbau – oder ein Ende des Projekts – für die Region bedeuten?
Infrastruktur prägt eine Region
Einer der Befürworter des Bauprojekts ist Dieter Barlage aus Haselünne. Er ist Geschäftsführer der Barlage GmbH, einem Unternehmen, das große Sonderapparate für die Industrie baut, darunter riesige Konverter und Reaktoren. Die großen Stahlkonstruktionen werden über die Straße transportiert. Als Vorsitzender des Vereins „Pro E233“ setzt Barlage sich für den vierspurigen Ausbau der Strecke ein. Was treibt ihn an? Warum ist die E233 so wichtig für das Emsland – und wie steht er zu den Argumenten der Gegner?
Wirtschaftliche Interessen stehen dabei jedenfalls nicht im Vordergrund. „Für uns selbst als Unternehmen ist der Ausbau der Straße kein Vorteil, sondern sogar eher ein Nachteil“, sagt Barlage. Was das Unternehmen auf die Straße schickt, ist in der Regel riesig und passt nur auf einen Schwertransporter. Und die müssten in Zukunft dann mehr Brücken umfahren oder gleich ganz auf andere Strecken ausweichen, sollte der Ausbau kommen.
Der Grund ist eher ein anderer. Dieter Barlage wuchs in Ems-tek bei Cloppenburg auf, in unmittelbarer Nähe zur A1. Schon als Kind erlebte er, wie diese Autobahn sein Heimatdorf mit dem Rest der Welt verband. Das prägte ihn ebenso wie der Lückenschluss der A31 in den 1990er-Jahren, an dem er aktiv beteiligt war. Heute kämpft er für den Ausbau der E233. „Wenn diese Straße nicht ausgebaut wird, riskieren wir, dass das Emsland abgehängt wird“, warnt Barlage. „Die Frage, wie wir erreichbar sind, ist enorm wichtig – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Lebensqualität vor Ort.“
Gegner kritisieren Eingriff in die Umwelt und Kosten
Was bedeutet das konkret? „Wenn die Region nicht gut erreichbar ist, leidet alles“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Menschen ziehen weg, Ärzte und Fach-kräfte bleiben fern, weil sie sich isoliert fühlen.“ Das Problem kennt er selbst. Im vergangenen Jahr stellte er 26 neue Mitarbeiter ein, die alle Schwie-rigkeiten hatten, einen Hausarzt zu finden. „Ich habe darüber mit einem Geschäftsführer vom Roten Kreuz gesprochen“, berichtet Barlage. „Er sagte mir, dass die Region für viele Ärzte nicht attraktiv ist.“ Erreichbarkeit kann ein entscheidender Faktor sein: Wie schnell und zuverlässig ist man etwa in größe-ren Städten wie Bremen? Ein Ausbau der Straße würde die Fahrzeiten verkürzen und könnte damit dem Fachkräftemangel entgegenwirken, so die Idee.
Es gibt zudem viele Straßen, die sicherer sind als die E233 in ihrem aktuellen Zustand. Studien zufolge ist diese Strecke die am stärksten von Lastwagen genutzte Straße in Deutschland. Auch landwirtschaftliche Fahrzeuge drängen sich auf der viel befahrenen Straße, dazwischen Autos, deren Fahrer oft kaum überholen können – wegen des Gegenverkehrs und der vielen Hofeinfahrten, die direkt auf die Europastraße münden. „Leider kommt es hier immer wieder zu tödlichen Unfällen, und in den meisten Fällen spielt der Gegenverkehr eine Rolle“, sagt Barlage. „Ein vierspuriger Ausbau könnte die Straße deutlich sicherer machen.“ Zudem könnten Nebenstrecken entlastet und damit die Verkehrssicherheit insgesamt verbessert werden.
Infrastruktur ist mehr als nur Straßen oder Brücken: Sie prägt, wie Menschen leben, arbeiten und sich fortbewegen. Sie entscheidet darüber, wer wie schnell und wie sicher zur Arbeit und nach Hause kommt, welche Kulturveranstaltungen erreichbar sind und ob eine Region attraktiv für Fachkräfte bleibt. Aber der Bau oder Ausbau einer Straße ist immer auch ein erheblicher Eingriff in die Umwelt – und teuer ist so eine Maßnahme außerdem. Die Gegner des Ausbaus kritisieren unter anderem die Kosten. Die sind in den vergangenen Jahren stark angestiegen, inzwischen rechnet man mit mehr als 1,3 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Kritiker warnen zudem vor den ökologischen Folgen und stellen die Wirtschaftlichkeit des Projekts infrage.
Starke Verzögerungen beim Ausbau
Doch Barlage sieht die Dinge anders. Er hält die gestiegenen Kosten nicht für ein schlagendes Argument gegen den Ausbau, sondern eher für ein Scheinargument. „Die Widerrufsrechte und Klagewege in Deutschland führen immer zu Verzögerungen“, sagt er. Die Inflation tickt währenddessen weiter, alles wird teurer – und jede Verzögerung bedeutet dadurch automatisch, dass Projekte mehr kosten. „Und dann kommen diejenigen, die ver-zögert haben, und argumentieren mit den gestiegenen Kosten. Das ist, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, zumal die ursprüngliche Planung samt Kosten sich auf eine ganz andere Streckenführung bezog.“
Ein weiteres Argument der Kritiker ist der Flächenverbrauch, den der Ausbau der E233 mit sich bringen würde. Ursprünglich war ein Bedarf von 1.000 Hektar vorgesehen, doch durch eine Überarbeitung der Pläne konnte dieser auf 150 Hektar reduziert werden. „Diese 150 Hektar sind sicherlich auch ein Flächenfraß“, räumt Barlage ein. „Aber zum Teil werden diese Flächen der Natur zurückgegeben und können regeneriert werden.“ Für die Landwirtschaft sei der Verlust dieser Flächen schmerzhaft, aber nicht existenzbedrohend.
Das aktuell wohl stärkste Argument gegen den Ausbau – und auch das, das den Bau am stärksten verzögern könnte – ist der Eingriff in die Natur. Dieter Barlage hat sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und sich auch in den Niederlanden umgeschaut, wo ähnliche Projekte im Einklang mit der Natur umgesetzt wurden. „Warum sollten wir das hier nicht auch schaffen?“, fragt er.
Den Status quo in der Region halten
Was der Natur durch den Ausbau genommen werde, bekomme sie an anderer Stelle zurück. Das eröffne die Chance, einen Lebensraum für bedrohte Arten zu schaffen oder auf Pflanzen zu setzen, die auch in Trockenheit und unter veränderten klimatischen Bedingungen gedeihen. „Wir haben die Chance, die Natur zu regenerieren und gleichzeitig eine moderne, sichere Straße zu bauen.“ Den Niederländern gelinge es besser, die verschiedene Interessengruppen schon vor Planungsbeginn an einen Tisch bringen, um Kompromisse zu finden. Entsprechend schnell ging der Ausbau der Strecke auf der anderen Seite der Grenze vonstatten. „In Deutschland hingegen wird vor allem gestritten und auf Zeit gespielt“, kritisiert er. „Das ist ein großer Fehler. Wir müssen lernen, wieder miteinander zu reden und Lösungen zu finden, die für alle tragbar sind.“
Für Dieter Barlage ist der Ausbau der E233 ein entscheidender Schritt, um die Region zukunftssicher zu machen. „Wir müssen die richtigen Ent-schei-dungen treffen“, betont er. „Sonst riskieren wir, dass das Emsland ins Abseits gerät.“ Diese Abwanderung würde die Wirtschaft insgesamt schwächen, den Immobilienmarkt, den Bau, den Einzelhandel. Fachkräfte hätten kaum Anreize, sich niederzulassen. Und Unternehmen könnten sich entscheiden, ihren Sitz eher in Richtung Ecopark an der A 1 oder an die A 31 ans Schüttdorfer Kreuz zu verlagern, um besser erreichbar zu sein. Das Ziel des Ausbaus ist für Dieter Barlage Wettbewerbsfähigkeit, die mit ökologischen Gesichtspunkten vereinbar ist. „Ich glaube nicht, dass immer nur Wachstum gut ist“, sagt er. „Es geht mir darum, den Status quo zu halten und Natur und Mensch in Einklang miteinanderzubringen.“
Barlage GmbH
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