Martin Deymann
Schon als Kind konnte Martin Deymann sich nichts anderes vorstellen, als einmal selbst ein Binnenschiff über Flüsse und Kanäle zu steuern. Bereits im Alter von sechs Wochen nahm sein Vater ihn mit auf sein Schiff, und bis zur Einschulung lebte er an Bord. Auch später, während seiner Schulzeit, verbrachte er jede freie Minute auf dem Binnenfrachter: in den Ferien, an den Wochenenden – immer zog es ihn zurück aufs Wasser. Mit 16 Jahren und dem Realschulabschluss in der Tasche war für ihn endgültig klar, was er werden wollte: Schiffsführer.
Sein Vater, ein erfahrener Schiffer, schien zunächst nicht so begeistert von der Idee. „Junge, lern doch etwas Ordentliches“, ermahnte er seinen Sohn. Doch der meinte bloß: „Es ist doch etwas Ordentliches, was du machst.“ Der Sohn setzte sich durch: „Papa, ich werde Binnenschiffer, da kannst du machen, was du willst.“ Nach der Ausbildung zum Matrosen und Schiffsführer kaufte er im Jahr 1991 mit 21 Jahren sein erstes Schiff – die „Aviso II“, die er von seinem Vater erwarb. „Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich vom Notar kam, das Schiff sah und wusste: Jetzt ist es meins.“ Einen schöneren Beruf auf der Welt als Schiffsführer kann er sich bis heute nicht vorstellen.
Inzwischen leitet Martin Deymann die Reederei Deymann in Haren. Die Stadt ist der drittgrößte Schifffahrtsstandort in Deutschland, gleich nach Ham-burg und Leer. „Schifffahrt hat hier eine mehr als 500 Jahre alte Tradition“, sagt er. Etwa 50 der rund 70 in Haren stationierten Binnenschiffe gehören zu seiner Reederei. Sie sind auf allen großen Wasserwegen Europas unterwegs – von Rotterdam bis an die Schweizer Grenze, auf der Elbe und dem Rhein, transportieren Chemikalien, Mineralöle, Getreide und Container.
Die Schifffahrt verändert sich
Viele Familien in Haren leben seit Generationen von der Schiff-fahrt, die ein großer Wirtschaftsfaktor in der Region ist. Doch Tradition allein reicht nicht. Die Schifffahrt verändert sich – und es gilt, sich anzupassen: Vorauszudenken und in neue Techno-logien zu investieren. Und auch: neugierig zu bleiben, Dinge auszuprobieren. Wie etwa beim autonomen Fahren, das nicht nur für Straße und Schiene diskutiert wird, sondern auch für Wasserstraßen. Die Reederei ist am belgischen Forschung-sprojekt „Seafar“ beteiligt, das Steuerungstechnik für teilauto-nomes Fahren entwickelt. Zwei Schiffe sind bereits mit ent-sprechender Technik ausgestattet und können ferngesteuert über den Rhein manövriert werden.
Doch damit das autonome Fahren wirklich zukunftsfähig wer-den kann, müssen auch die Wasserstraßen mitspielen. „Wir haben in Deutschland ein riesiges Problem mit einer veral-teten Infrastruktur“, sagt der 53-Jährige. Viele Schleusen, Ka-näle und Hafenanlagen seien in einem katastrophalen Zu-stand. Das sorgt für Staus und Verzögerungen auf dem Was-ser: „Es gibt etliche Schleusen, bei denen regelmäßig eine der Kammern ausfällt.“
Durch Schleusen tuckert Martin Deymann als Geschäftsführer seiner Rederei inzwischen seltener als früher. Die viele Zeit unterwegs auf dem Wasser, die er früher als Schiffsführer hatte, fehlt ihm manchmal. Er springt schon einmal ein, wenn auf einem seiner Schiffe Personal fehlt, übernimmt für eine Nacht das Ruder, schläft mit den anderen an Bord, wie früher. Ganz los lässt ihn das Wasser ohnehin nicht. Ein umgebautes Frachtschiff auf einem Seitenarm der Ems ist sein Zuhause, das Wort „Freiheit“ prangt auf dem Steuerrad, jeden Moment könnte es wieder losgehen aufs Wasser.
An Land – der Kinder wegen
An Land ging Martin Deymann wegen seiner Kinder. „Ich wusste, dass die schöne Zeit als Familie an Bord mit der Schule ein Ende finden würde“, sagt er. Und überlegte: Wollte er es so machen wie sein Vater, unter der Woche unterwegs sein, die Kinder an Bord an den Wochenenden und in den Ferien er-leben? Oder doch mehr Zeit mit der Familie verbringen? Martin Deymann entschied sich, einen etwas anderen Weg als sein Vater einzuschlagen.
Als er 2004 erfuhr, dass ein Unternehmer einen Nachfolger für seine Tankschiffe suchte, zögerte er nur kurz und schlug dann zu: Am 21. Mai 2004 ging er mit einem Frachtschiff an Land, 2005 besaß er dann schon acht Schiffe. „Das ging rasend schnell.“ 2013 erwarb er eine Reederei mit sieben Schiffen, 2019 eine Befrachtungsgesellschaft in Hamburg. „Ich habe erst einmal nur Schiffe gekauft und gekauft und gekauft.“ 2024 kam noch eine Spedition in den Niederlanden dazu.
Heute ist die Reederei von fünf Standorten aus aktiv – neben Haren, Rotterdam und Hamburg auch in der Schweiz und in Luxemburg. Auch zwei der drei Kinder des 53-Jährigen sind bereits in der Schifffahrt aktiv. Ein Sohn lernt Schiffsführer, die Tochter studiert Hafenwirtschaft in Rotterdam. Die jüngste Tochter geht noch zur Schule. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die nächste Generation die Reederei einmal weiterführt.“
Auch einmal um die Ecke denken
Auch seine Kinder sollen in einer lebenswerten Umwelt leben – was Martin Deymann zum Handeln antreibt. In der Binnenschifffahrt werden Abgas-normen und Umweltstandards verschärft. Der Reeder sieht das als Chance, Lösungen zu entwickeln und ganz neu zu denken. Auch einmal etwas zu wagen. Die Reederei investiert laufend in die Modernisierung der Flotte. Im Schnitt liegt das Alter von Frachtschiffen in Deutschland bei 67,5 Jahren, die Schiffe der Reederei sind jünger, keines älter als 20 Jahre. Wie hält man Schiffe jung? Man verkauft alte Schiffe und investiert das Geld in neue, baut selbst Schiffe – oder man gönnt ihnen eine Verjüngungskur.
„Wir haben in den vergangenen Jahren mehrere Schiffe aufwendig umgebaut“, sagt Martin Deymann. „Bei zwei Schiffen tauschen wir zum Beispiel das Achterschiff komplett aus und statten sie mit neuer Technik aus.“ Dadurch sollen sie umweltfreundlicher unterwegs und auch bei Niedrigwasser einsatz-fähig sein. Die Reederei experimentiert zudem mit neuen Technologien wie der Wasser-Emulsionstechnik, bei der Wasser in den Kraftstoff eingespritzt wird, damit die Schiffe weniger Ruß ausstoßen. „Die Binnenschifffahrt gilt als einer der umweltfreundlichsten Verkehrsträger“, sagt Martin Deymann. „Aber wir müssen uns ständig weiterentwickeln, um diesen Ruf zu verteidigen.“
Ausbildung selbst in die Hand nehmen
Doch die umweltfreundlichsten Schiffe helfen nicht weiter, wenn am Ende niemand da ist, der sie fährt. Viele Schiffsführer gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand, der Nachwuchs fehlt. „Es wurde einfach zu wenig ausgebildet in den 1990er-Jahren“, beklagt Deymann. Auch aus dem Aus-land sei es immer schwieriger, Fachkräfte zu gewinnen.
Was also tun? Die Sache am besten selbst in die Hand nehmen, dachte sich der 53-Jährige und gründete die „Flussakademie“, das umgebaute Fracht-schiff „Rolf Deymann“, auf dem das Unternehmen den Nachwuchs selbst schult. Die Auszubildenden erleben dort, was es bedeutet, ein Schiff zu führen. Geplant ist, dass alle Auszubildenden einmal im Jahr eine gemeinsame Fahrt machen. Auch während der Kurse wohnen sie auf dem Schiff. „Sie schlafen an Bord, kochen gemeinsam und über Tag arbeiten sie auf dem Schiff und lernen. Das prägt.“ Als junger Mann arbeitete Martin Deymann selbst auf den Schiffen seines Vaters. „Ich weiß, wie wichtig es ist, die Leidenschaft für diesen Beruf weiterzugeben. Man sieht Europa aus einer neuen Perspektive, ist ständig unterwegs und arbeitet mit modernster Technik. Es wird niemals langweilig.“
Auch wenn die Reederei gewachsen ist, ist die Arbeitskultur weiterhin innig. Viele der Beschäftigten sind schon lange dort und Martin Deymann schließt auch schon einmal einen Arbeitsvertrag per Handschlag auf der Harener Kirmes. Man kennt sich eben. „Wir sind wie eine große Familie, und das treibt mich auch an, die Reederei weiterzuentwickeln“, sagt er. „Stillstand ist Rückgang – und das geht nicht.“
Die Schifffahrt im Blut
Die Zeit als Schiffführer hat Martin Deymann geprägt: durch schmale Kanäle navigieren, Flüsse mit hoher Strömung bewältigen, dem Wind trotzen, auf-passen an Brücken, Herausforderungen meistern, das liebt er. Ohne Wasser ist er nicht glücklich – wie damals als Kind, als sein Vater der Familie etwas Gutes tun wollte und eine Ferienwohnung im Bayerischen Wald buchte, gemeinsam wandern gehen und Beeren sammeln wollte. „Was war ich damals froh, als ich wieder an Bord war“, sagt Martin Deymann und lacht. „Das hat mein Vater nie wieder probiert.“
Ein anderes Mal in seiner Kindheit standen die Ferien an Bord wegen eines Motorschadens auf der Kippe – das Schiff war nicht fahrtüchtig und lag im Harener Hafen fest. „Da sind wir Kinder dann eben hier im Hafen an Bord gegangen und haben unsere Ferien verbracht.“ Das Leben an Bord sei wie ein Virus. „Das ist drin. Und das bekommt man auch nicht heraus. In einem Haus könnte ich gar nicht sein. Ich habe das im Blut, da hilft nichts.“
Reederei Deymann Management GmbH und Co. KG
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